Stefanie Scheurell

Laudatio von Prof. Dr. Steffen Höhne zur Soloshow bei Galerie Varga Berlin
Zur Arbeit Haute Couture – Décollage  

Verehrte Anwesende, liebe Kunstfreunde,
es freut mich, dass wir uns heute wieder in der Galerie Kunstwerk zu einer Ausstellungseröffnung zusammenfinden können, die ja zugleich im Rahmen der diesjährigen Berlin Art Week stattfindet.
Matyas Varga hatte mich gebeten, zur Einführung ein paar Worte zu Künstlerin und Werk zu sagen, einer Bitte, der ich gerne nachkomme.
Präsentiert wird heute eine nur kleine, dennoch repräsentative Auswahl aus dem sehr umfangreichen und vielfältigen Werk von Stefanie Scheurell, ihrerseits Berlinerin, die mittlerweile am Bodensee im schönen Konstanz lebt, wo man möglicherweise mehr Muße und Kontemplation für künstlerisches Wirken findet. Kurz ein paar Worte zu ihrer Vita, aus der vor allem – neben vielen Ausstellungen, Auszeichnungen und Preisen sowie einem Studium bei Rebecca Horn an der hiesigen UdK sowie bei John Bock und Daniel Roth in Karlsruhe – insbesondere die Arbeitsaufenthalte am Pas de Calais, auf Okinawa und in Botswana, ferner in Australien und Neuseeland sowie in Hong Kong und Singapur herausragen, was zumindest ein starkes Interesse für fremde Landschaften, aber auch Kulturen belegt. Wir sind damit schon bei einer Perspektive, die auch für die heutige Ausstellung von Relevanz sein dürfte.
Soweit ein paar kurze Anmerkungen zur Person, denn wir wissen ja alle, dass wir Künstler und Werk nicht gleichsetzen dürfen, dass sich das Werk, wenn es denn von der Künstlerin als abgeschlossen oder vollendet deklariert wird, nicht mehr ihrer Kontrolle unterliegt, sondern den Urteilen der Betrachter überantwortet wird. Dieser rezeptionsästhetische Schlenker sei, Stichwort Konstanzer Schule, hier einmal mehr angebracht.
Schauen wir uns nun die Werke an, so werde ich jetzt keine Interpretation vorgeben, gar noch im Sinne einer Betrachter-Steuerung. Wohl aber sei ein Versuch unternommen, ein paar kontextuelle Überlegungen anzustellen. Was hier wie in ihrem bisherigen Werk auffällt, das ist die materielle und visuelle und auch darstellerische Varianz, mit der Stefanie Scheurell versucht, ihre künstlerischen Ideen umzusetzen. Es ist eine Spannbreite von der Abstraktion über die fast schon realistische Farblithographie und Portrait-Fotographie bis hin zur Performance, die auch Theater und Kurzfilm einschließt, somit immer Grenzüberschreitungen zwischen der Bildenden und der Darstellenden Kunst bzw. der Versuch einer intermedialen Kombination. Diese Vielfalt der Medien, zu ergänzen wären hier noch Vertonungen einzelner ihrer Werke, korrespondiert mit einer der Materialien. Nicht untypisch, wie wir seit der Post- oder Spätmoderne wissen, wobei Rückgriffe auf den der Moderne zuzurechnenden Dadaismus immer mitzubedenken sind. Dieser medialen wie materiellen Vielfalt liegen nicht nur fundamentale Fragen nach Identität und Umwelt zugrunde, sondern man darf eine gewisse kulturkritische oder sogar ikonoklastische Décollage vermuten, beispielsweise die Demontage von Modewelten, mit der doch wiederum an die Dadaisten angeknüpft wird, beispielsweise an Hannah Höch.
In diesem Zusammenhang möchte ich dann doch auf zwei Äußerungen der Künstlerin zurückgreifen, die ich ihrer Homepage entnommen habe und die mir als eine Art Schlüssel für das Werk erscheinen. „Den Schwerpunkt meiner Arbeit“, so vermerkt sie, die sich ungeachtet eines Studiums der klassischen Malerei explizit nicht als Malerin bezeichnen möchte, „bildet das Materialexperiment und die Frage nach Identität und ‚Lebensraum‘, basierend auf internationaler Ebene über vier Kontinente.“ Damit ist gewissermaßen eine Art ethnographische Position eingenommen, es geht, so vermerkt die Künstlerin weiter, um eine Untersuchung von „Materialien, Oberflächen, Strukturen im ortsspezifischen Kontext der Gesellschaft. Ich analysiere ihre kulturellen Eigenschaften, Qualitäten, Bedeutungen, Anwendungen. Ich bringe sie in intermedialen Kombinationen in unkonventionelle Zusammenhänge. So generiere ich neue Konstellationen der Dinge unserer Welt.“ Soweit der Versuch einer Selbstpositionierung der Künstlerin.
Man kann dahinter durchaus ein ethnographisches Programm, und hier kommen ihre Reiseerfahrungen zur Geltung, bis hin zur Erforschung des Menschen und seiner Kulturen als ‚Gesamtkunstwerk‘ erkennen. Mir ist ein weiterer Aspekt aufgefallen, mit dem sich vielleicht das künstlerisch-ethnographische Verfahren, wenn man es denn auf diese Formel bringen mag, beschreiben lässt: Es geht jenseits gesellschaftlicher Zumutungen um eine Öffnung ästhetischer Erfahrungen, bei der naturgebundene, mystische und pantheistische Dimensionen nicht ausgrenzt werden.

Mit meinen Überlegungen habe ich Sie jetzt hoffentlich nicht zu sehr beeinflusst oder gar ihren Blick manipuliert und wünsche Ihnen eine möglichst unvoreingenommene, kontemplative Betrachtung der Exponate mit vielen Anregungen – viel Vergnügen.
Prof. Dr. Steffen Höhne