Stefanie Scheurell

Okinawa, Japan
Abschlussbericht
Projektstipendium, 2007
Stefanie Scheurell

Meine Ziel war es, mit den hochbetagten Frauen Okinawas in Kontakt zu kommen, mit Ihnen über Ihre Geschichte und Ihr alltägliches Leben zu sprechen und dadurch ein Portrait von Ihnen schaffen zu können. Der zweite Bereich über den ich mehr erfahren wollte, war die japanische Art des Kostüms, Maske und Schminke. Während meines Studiums legte ich bereits hierzu Schwerpunkte.

Hintergrund Okinawa;
Geschichte/ Beziehung zwischen Okinawa und Japan

Okinawa hebt sich durch seine Tradition und Kultur stark vom Festland ab.
Dies resultiert aus der Lage der Insel und dem damit zusammenhängenden regen Handel und kulturellen Austausch mit den nahegelegenen Inseln.
Die Präfektur Okinawa besteht aus hunderten Inseln, die einst unabhängig waren. Sie wurden zum Ryukyu Königreich zusammengefasst und von der Hauptinsel Okinawa regiert.
Mitte des 17. Jahrhunderts hat Japan Okinawa besetzt. Anfänglich durften die Okinawesen Ihre Kultur und Sprache frei ausüben. Dies wandelte sich im Laufe der Zeit. Im Zweiten Weltkrieg kam es so weit, dass Okinawesen, die Ihre Sprache benutzen vom japanischen Militär, wegen vermuteter Spionage und Verrat, hingerichtet wurden.
Dies ist, denke ich, ein gutes Beispiel um die bis heute bestehende Kluft zwischen Japanern und Okinawesen zu verdeutlichen.
Im Krieg wurde Okinawa an die US-Amerikaner verloren.
1972 wurde Okinawa von Amerika an Japan zurückgegeben. Die Okinawesen erhofften sich davon den Abbau der amerikanischen Stützpunkte auf Okinawa (ca. 20 000 US-Soldat sind dort stationiert, der wichtigste Stützpunkt der USA im asiatischen Raum). Diese Hoffnungen zerbrachen jedoch schnell.
Heutzutage sind die amerikanischen Stützpunkte ein umstrittenes Thema. Einerseits bieten die Stützpunkte Arbeitsstellen für Einheimischen und Pachtgebühren werden an die okinawesischen Landbesitzer gezahlt. Andererseits erinnern Sie an den Krieg und stellen eine Bedrohnug da. Im Vietnamkrieg wurden die okinawesischen Stützpunkte stark aufgerüstet und Amerika startete von Okinawa seine Angriffe auf Vietnam. Die Angst der Bevölkerung vor einem Gegenangriff auf Okinawa stieg.

Die Kluft zwischen Okinawesen und Japanern spürt man noch heute stark.
Die Bewohner Okinawas nennen sich bewusst Okinawesen nicht Japaner.
Okinawa ist bei Japanern heutzutage sehr beliebt, gilt jedoch eher als exotisches Ausland, denn als Teil Japans.
Die japanische Regierung bemüht sich Okinawa anzupassen, indem sie z.B. wichtige Posten auf Okinawa mit japanischen Männern besetzt. Es gibt viele Okinawesen, die daher stark um Ihre Kultur und Tradition fürchten. z.B. wird die okinawesische Sprache heute nur noch von den Alten gesprochen und verstanden.

Das Zusammentreffen auf Okinawa von östlichen und westlichen Lebens- und Denkweisen ist ein weiteres hochinteressantes Feld.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die Amerikaner auf Okinawa fast alle dem Militär angehören. Es handelt sich nicht um eine Vielfalt unterschiedlicher Amerikanern aus verschiedenen beruflichen Bereichen. Diese Ballung an amerikanischen Soldaten war für mich persönlich eine sehr spezielle Erfahrung.

Ich empfehle das Peace Memorial Museum im Süden der Insel zu besuchen. Hier findet man hochinteressante ausführliche Informationen zu den Ereignissen im und nach dem Zweiten Weltkrieg auf Okinawa.


Naha City

Naha, die Hauptstadt Okinawas mit dem ehemaligen Sitz des Ryukyu Herrschers in Shuri, setzt sich aus einem wirren Geflecht von gegossenen Betonhäusern zusammen. Im Zentrum befindet sich die laute viel befahrene Kokusai Straße.
Aneinandergereihte Läden bieten bunte glitzernde Touristenkonsumartikel an.
Hier treffen sich die jungen Leute zum Schlendern und Einkaufen.
Die Schönheit der subtropischen Insel ist in Naha leider „verbaut“. Alle vermutlich ehemals wunderschönen Strände wurden zubetoniert. Von einer Promenade mit Straßencafes, wie man sie aus Europa kennt, kann man nur träumen. Die Parkanlagen sind trostlos gestaltet. Einzige Ausnahme bildet der wunderschöne recht wilde Sueyoshi Park nahe Shuri. Das Naturbewusstsein auf Okinawa und Japan unterscheidet sich zu unserem stark.

Shuri ist der schönste Stadtteil in Naha. Daher empfehle ich, wenn man länger in Naha bleiben möchte, sich dort eine Wohnung zu suchen.

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Künstlerische Projekte

Ich arbeitete an zwei sehr unterschiedlichen Projekten parallel.
Zum einen arbeitete ich dokumentarisch mit okinawesischen alten Frauen zusammen. Zum anderen realisierte ich einen künstlerischen Videokurzfilm.

Die freien Stunden im ersten Monat auf Okinawa verbrachte ich hauptsächlich mit "Sammeln".
Ich versuchte an so viele Plätze wie möglich zu gelangen, kein einfaches Unterfangen ohne Auto im autodominierten Okinawa, um vielseitige Eindrücke der Insel und seiner Bewohner durch Beobachten zu erlangen. Zuhause verarbeitete ich meine Erlebnisse und das Gesehene in Zeichnungen. Langsam wuchs mein Fundus, aus dem ich vorallem für meinen surrealistischen Videokurzfilm schöpfte.

In Naha finden ca. alle zwei Monate sonntags in der Untergrundkneipe „Groove“ in Urasoe gegen 21 Uhr Performances statt. Der Initiator, Herr Shibasan, studierte traditionellen Tanz und Theater. Er ist inzwischen etwa siebzig und war sein Leben lang in diesem Bereich tätig. Parallel dazu erarbeitete er sich seine eigenen experimentellen zeitgenössischen Performances. Diese führt er mit Musikern und anderen Performern im Groove auf. Für mich waren es sehr inspirierende Abende.
Ich hatte die Gelegenheit sein großes Studio, seine Kostümsammlung und seine schrägen Requsiten in seinem Haus von ihm gezeigt und erklärt zu bekommen. Von ihm habe ich viel über traditionelle wie auch experimentelle Kostüme und Masken gelernt.

Im nächsten Monat verschmolz ich das Gesehene und meine eigenen Phantasien zu einem Drehbuch. Ich entwarf Kostüme, besorgte Requisiten, suchte Darsteller und war mit Storyboardzeichnen beschäftigt.

Parallel zu all dem versuchte ich über meine japanischen Freunde Kontakt zu deren Großmüttern zu bekommen.

Der zweite Monat war die zäheste Zeit. Man ist noch recht unsicher, verliert manchmal das Vertrauen in sich, hinterfragt plötzlich das ganze Vorhaben...
Ich hatte das Glück mit einigen meiner Vertrauten und meinem künstlerischen Betreuer Titus Spree ausgiebig über meine Arbeitsvorhaben sprechen zu können.
Als dann im Dritten Monat die Dreharbeiten begannen und ich meine ersten Großmutterinterviews machen konnte, war ein Stein ins Rollen gekommen und die Zeit begann zu rennen.
Drehtermine und Interviewtermine folgten einander. Es gab sehr viel zu tun.
Wir verbrachten viel Zeit mit Interviews in Naha auf dem alten Markt und in Privatwohnungen und Häusern der alten Damen.
Es hing von den Umständen ab wie umfangreich ein Interview sein konnte. Meine Hauptfragen waren:

1. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
2. Was braucht der Mensch Ihrer Meinung nach zum glücklich sein?
3. Welchen Ratschlag haben Sie für junge Menschen?

Wenn man Zeit und Ruhe hatte, interessierten mich Fragen wie:

4. Wann und wo sind Sie geboren?
5. Mit was haben Sie die meiste Zeit in Ihrem Leben verbracht?
6. Was waren die eindrücklichsten und prägendsten Erlebnisse in Ihrem Leben?
7. Haben Sie Kinder und Enkelkinder?
8. Wohnen diese in Ihrer Nähe? Wie oft sehen Sie sich? Wie stark ist der Zusammenhalt und die Hilfe innerhalb der Familie?
9. Wie ist die Gemeinschaft im Dorf zwischen den alten Frauen?
10. Kennen Sie den Lolitastyle der jungen Frauen? Was halten Sie davon?

In der Kunstakademie in Naha fand meine erste zufällige Begegnung mit einer "Lolita" statt. Ich war sehr beeindruckt und machte ich mich im Internet zum Thema Lolita von den Anfängen bis heute schlau.
Lolitas verkörpern für mich den perfekten Gegenpol zu hochbetagten Frauen. Ich startete meine "Lolitasuche". Tatsächlich hatte ich die Möglichkeit eine weitere Lolita auf Okinawa zu interviewen und zu portraitieren.
Mir wurde klar, dass ich in Tokyo weitersuchen musste, da diese Mode auf Okinawa sehr selten zu finden ist. Also buchte ich einen Flug. Mit Hilfe japanischer Freunde schaffte ich es in Tokyo Interviews mit Lolitas durchzuführen.
Ich habe vor die Interviewergebnisse der Lolitas denen der hochbetagte japanischen Frauen in einer Videoinstallation gegenüberzustellen. Die alten weisen natürlichen Gesichter möchte ich konfrontieren mit den kindlich künstlichen.
Wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, kann man sich nicht vorstellen wie sich einige junge Mädchen in Tokyo stylen. In Ihren bonbonfarbenen Rüschenkleidchen mit Häubchen und dickem Make up sehen sie aus wie eine Puppe, kaum noch wie eine lebendige junge Frau.
Warum kostümieren sich diese Mädchen am Wochenende so extrem?
Meine Interviews konnten mir einen kleinen Einblick in diese Frage geben.

In Tokyo bietet sich einem ein breites kulturelles Angebot, welches man in diesem Ausmaß auf Okinawa nicht findet. Das war eine gute Chance in die Kunst des Kabuki Theaters einzutauchen. Die Inszenierung und die mir unverständlichen Laute der Darsteller haben mich sehr beeindruckt und inspiriert.

Während meines halbjährigen Japanaufenthaltes war mein Ziel so viel wie möglich Video- und Fotomaterial aufzunehmen. Die digitale Verarbeitung meines Materials beschloss ich in Deutschland vorzunehmen. Mir war die Zeit auf Okinawa sehr kostbar und es wäre schade gewesen die Hälfte der Zeit am Computer zu arbeiten statt rauszugehen und zu filmen. D.h. es liegt noch ein weiter Weg vor mir bis ich meine Okinawaprojekte als abgeschlossen erklären kann. Momentan bin ich an der Videomaterialbearbeitung, welche denke ich noch einmal die Stipendiendauer von sechs Monaten in Anspruch nehmen wird.

Durch meine künstlerischen Projekte habe ich viele Menschen kennengelernt und mir wurden viele Türen geöffnet, die mir sonst verschlossen geblieben wären. Darüber bin ich sehr dankbar.